Reflexionspfad Studiengangsentwicklung
Unter Studiengangsentwicklung wird die Erst- und Weiterentwicklung von Studiengängen verstanden. Für beides stellt das Referat 31 „Qualität und Recht“ unter dem Dach des Qualitätsmanagements der Universität Hamburg Hinweise und rechtliche Vorgaben in Form eines Handbuchs zur Verfügung; zuständig für die Studiengangsentwicklung sind die Fakultäten. Der Reflexionspfad Studiengangsentwicklung, erarbeitet vom Hamburger Zentrum für Universitäres Lehren und Lernen (HUL), versteht sich als didaktische Ergänzung. Auf diesem Pfad werden gedanklich fünf Stationen im Sinne didaktischer Kategorien der Studiengangsentwicklung – bei Bedarf auch mehrfach (im Sinne einer Entwicklungsspirale) – durchlaufen: Ausrichtung, Curriculum, Struktur, Prozess und Gestalt.
An einigen Stellen kreuzen sich die Wege auf dem Reflexionspfad durch die Studiengangsentwicklung mit denen auf dem didaktischen Lehrpfad durch die Gestaltung von Lehre – gekennzeichnet durch die farbigen Fähnchen. Die unter den Kategorien aufgeführten weiterführenden Tipps aus dem didaktischen Lehrpfad lassen sich bei Bedarf zur Vertiefung einzelner Aspekte der Lehrgestaltung heranziehen.
1. Ausrichtung
Studiengänge unterscheiden sich darin, welche Zwecke sie haben und welche normativen Vorstellungen ihnen zugrunde liegen. Zwecke und normative Vorstellungen prägen somit die Ausrichtung eines Studiengangs und bilden eine Art Wertebasis. In diesem Sinne unterscheiden sich Studiengänge darin, mit welcher Gewichtung sie direkt auf Professionen bzw. Berufe vorbereiten, in eine Fachwissenschaft und deren Forschung einführen und der persönlichen Bildung durch Wissenschaft dienen. Mit der Klärung dieser Gewichtung wird für Studium und Lehre jeweils ein Zielrahmen bestimmt.
In einem ersten Schritt kann man überlegen, ob die Ausrichtung eines Studiengangs in Bezug auf die genannten Zwecke und damit verbundenen normativen Vorstellungen einen Schwerpunkt aufweist. Eine (sehr) grobe Einteilung etwa geht davon aus, dass man akzentuierend folgende Ausrichtungen unterscheiden kann:
- Professions- bzw. berufsorientierte Studiengänge bereiten auf akademischem Niveau gezielt auf einen bestimmten Beruf oder ein Berufsfeld vor, wie das etwa in medizinischen, juristischen oder Lehramtsstudiengängen der Fall ist.
- Fachwissenschaftlich orientierte Studiengänge zielen darauf ab, in die Denk- und Handlungsweisen einer oder mehrerer Disziplinen einzuführen, was beispielsweise in natur-, geistes- und sozialwissenschaftlichen Studiengängen vorrangig erfolgt.
- Allgemein- oder persönlichkeitsbildende Studiengänge (in Deutschland eher selten) setzen auf eine interdisziplinäre Bildung durch Wissenschaft, die vorrangig der eigenen Entwicklung und gesellschaftlichen Teilhabe dienen soll.
In der Regel verfolgen Studiengänge an Universitäten alle drei Zwecke, also Berufsvorbereitung, (Fach-)Wissenschaftlichkeit und Persönlichkeitsbildung. Sie tun dies aber in unterschiedlicher Weise und mit verschiedenen Schwerpunkten; dies ist entsprechend festzulegen und zu begründen. Es empfiehlt sich, für einen Studiengang eine jeweils passende ^ zu finden oder erkennbare Dysbalancen auszugleichen.
Die Explikation von Zwecken sowie normativen Vorstellungen und der Diskurs zur Ausrichtung eines Studiengangs schaffen eine Grundlage dafür, für den Studiengang als Ganzes wie auch für einzelne Lehrangebote begründet Lehr-Lernziele festzulegen, die erreicht werden sollen. Auf einem noch abstrakten Niveau deutet sich daher schon bei der Ausrichtung eines Studiengangs an, welche fachlichen und überfachlichen Kompetenzen bei den Studierenden gefördert werden sollen: Kompetenzen, die
- direkt in bestimmten Berufen (gerade) benötigt werden und/oder
- zum wissenschaftlichen Arbeiten und Forschen befähigen und/oder
- vor allem für die Persönlichkeitsentwicklung wichtig sind.
Info-Tipp aus dem didaktischen Lehrpfad: Zum Thema Ziele und Werte finden Sie hier weiterführende Informationen. |
2. Curriculum
Wissenschaftliche Inhalte sind die materiale Grundlage eines Studiengangs. Der begrenzte Zeitraum für ein Studium macht es erforderlich, eine inhaltliche Auswahl vorzunehmen; üblicherweise schlägt sich diese in Modulhandbüchern in Form fachlich-thematischer Hinweise nieder. Das Curriculum bildet den inhaltlichen Rahmen für Studium und Lehre.
Inhaltliche Entscheidungen können zu unterschiedlichen Anteilen bestimmt werden durch:
- Disziplinen mit ihrem Wissenskanon: Je nach Fachwissenschaft ist der Wissenskanon entweder relativ etabliert und universitätsübergreifend gültig oder flexibel und von lokalen Forschungsaktivitäten beeinflusst.
- Den Arbeitsmarkt mit seinen Anforderungen: Die Wirtschaft, aber auch andere Subsysteme, die den Arbeitsmarkt bilden, haben Anforderungen, was man angesichts aktueller und (vermuteter) zukünftiger beruflicher Tätigkeiten wissen und können sollte.
- Die Gesellschaft mit ihren Herausforderungen: Zu diesen Herausforderungen gehören etwa Klimakrise und Nachhaltigkeit, Diversität und Multikulturalität, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz, Globalisierung und Internationalität, Demokratie und Frieden.
Das Curriculum von Studiengängen an Universitäten ist in der Regel primär von einer oder mehreren Disziplinen geprägt. Je nach Ausrichtung des Studiengangs ist jedoch zu entscheiden, in welchem Ausmaß und in welcher Weise wissenschaftliche Inhalte auf berufliche und arbeitsmarktbezogene Anforderungen anzuwenden sind und welche inhaltlichen Folgen dies für den Studiengang haben soll. Ähnlich ist zu prüfen, in welcher Form das wissenschaftliche Curriculum die jeweils aktuellen großen gesellschaftlichen Herausforderungen aufgreifen soll und was das für die Lehr-Lerninhalte bedeutet. Als inhaltlicher Rahmen sollte das Curriculum eines Studiengangs allerdings flexibel bleiben und Lehrpersonen ausreichend Spielräume geben.
Das Curriculum gibt den angestrebten Kompetenzen, die schon mit der Ausrichtung eines Studiengangs ein Thema sind, die notwendige inhaltliche Grundlage. Das heißt: Inhaltlich verankerte Kompetenzziele gehören zum Curriculum und sind Bestandteil von Modulhandbüchern. Es empfiehlt sich, bei curricularen Entscheidungen mitzudenken, welche Prüfungsformen sich angesichts der geplanten Inhalte und Ziele prinzipiell eignen: Idealerweise sind diese in einem Studiengang vielfältig; zu vermeiden ist, sich auf wenige Prüfungsformen zu fixieren. Wo es möglich ist, sind optionale Prüfungsformen vorzusehen, sodass Lehrpersonen Spielraum haben, Ziele, Lehr-Lernaktivitäten und Prüfungen sinnvoll aufeinander abzustimmen.
Die materiale Grundlage eines Studiengangs steht auch in einer Wechselbeziehung zu Lehrformaten und Lehr-Lernräumen. Schon bei der curricularen Entwicklung ist es sinnvoll, über Lehrformate (Vorlesung, Seminar, Projekt, Übung, Exkursion, Kolloquium etc.) nachzudenken, die zu Inhalten und Kompetenzzielen passen. Parallel dazu kann man sich Gedanken darüber machen, in welchem Umfang und in welcher Qualität Lehrformate digital umgesetzt werden könnten oder sollten; damit ist die Frage der Lehr-Lernräume tangiert. Auch hier gilt: Das Curriculum steckt bei der Studiengangsentwicklung einen Rahmen ab, der es ermöglichen soll, inhaltlich verankerte (Kompetenz-)Ziele zu erreichen, dazu geeignete Prüfungsformen zu realisieren sowie curricular angemessene Lehrformate und Lehr-Lernräume zu gestalten. Eine solche Ermöglichung bedeutet nicht, Prüfungen, Formate und Räume vorab strikt festzulegen.
Info-Tipp aus dem didaktischen Lehrpfad: Weiterführende Informationen zum Thema Prüfungsgestaltung finden Sie hier, zum Thema Lehrformate hier und zum Thema Lehr-Lernräume hier |
3. Struktur
Die meisten formalen Vorgaben für die Studiengangsentwicklung beziehen sich auf die Struktur eines Studiengangs; hier sind die Angaben des Qualitätsmanagements bindend. Allerdings ist die Struktur auch für viele didaktische Entscheidungen in der Lehre wichtig. Sie bildet den organisatorischen Rahmen für die Lehrgestaltung. Neben formalen Vorgaben sind daher immer auch Ausrichtung und Curriculum zu berücksichtigen, wenn organisatorische Rahmenbedingungen festgelegt werden, denn: Diese haben didaktische Implikationen etwa in Bezug auf Prüfungen, Lehrformate und Lehr-Lernräume.
Zudem sind Kooperationen bei der Gestaltung der Studiengangsstruktur frühzeitig mitzudenken. Ob es Bedarf für Kooperationen innerhalb oder außerhalb der eigenen Universität und/oder des eigenen Landes gibt, lässt sich gegebenenfalls schon mit der Ausrichtung und dem Curriculum erkennen. Zu fragen ist zum Beispiel, inwiefern
- eine spezifische wissenschaftliche Expertise für den Studiengang im eigenen Lehrenden-Team fehlt oder wünschenswert wäre,
- die Anwendungs- bzw. Praxisorientierung und Transfer zu stärken ist und daher Partner aus außerwissenschaftlichen Feldern einbezogen werden sollen, und/oder
- eine Form von Internationalisierung angestrebt wird, welche die Zusammenarbeit mit Organisationen und Personen aus dem Ausland nahelegt.
Kooperationen erfordern, dass sich Lehrpersonen koordinieren. Auch das hat wiederum Einfluss auf Lehrformate und Lehr-Lernräume sowie auf den inhaltlichen Rahmen.
Geeignete Lehrformate und Lehr-Lernräume in der Studiengangsentwicklung mitzudenken, ist auch deshalb wichtig, weil es Anforderungen an die Modularisierung mit sich bringt. Diese bestimmt entscheidend die Struktur eines Studiengangs: Zu klären ist, wie Anzahl und Umfang der Module eines Studiengangs beschaffen sein sollten, um inhaltlich naheliegende Lehrformate realisieren zu können. Projekte etwa werden nur dann didaktisch ihr Potenzial entfalten können, wenn der Umfang eines Moduls einen ausreichenden Arbeitsaufwand vorsieht. Lehrangebote zur Bearbeitung von gesellschaftlich relevanten Themen dagegen brauchen Flexibilität in der Ausgestaltung von Modulen, weil langfristig kaum vorhersehbar ist, welche didaktischen Entscheidungen hier jeweils die besten sind – um nur zwei Beispiele zu nennen. Bei nicht-modularisierten Studiengängen gelten diese Aussagen für Studienabschnitte oder -phasen.
Im besten Fall bietet der organisatorische Rahmen hilfreiche Wegmarken und eine auch bei Kooperationen verbindliche Ordnung, ohne aber die didaktische Gestaltung von Lehre unnötig einzuschränken.
Info-Tipp aus dem didaktischen Lehrpfad: Weiterführende Informationen zum Thema Lehrformate finden Sie hier und zum Thema Lehr-Lernräume hier. |
4. Prozess
Die Modularisierung von Studiengängen kann dazu verleiten, die Struktur eines Studiengangs so stark in den Mittelpunkt zu rücken, dass die zeitliche Komponente und der Prozess des Studierens in den Hintergrund treten: Studierende absolvieren einige Module (oder Veranstaltungen) parallel, andere hintereinander, haben unterschiedliche Geschwindigkeiten und durchlaufen mehrere Übergänge. In der Studiengangsentwicklung sollte daher die Frage eine wichtige Rolle spielen, wie der zeitliche Rahmen für Studium und Lehre abzustecken ist.
Aus der Perspektive der Studierenden ist das Durchlaufen eines Studiengangs von verschiedenen Übergängen geprägt: der Übergang
- von der Schule oder einem Beruf ins Studium,
- zwischen Studienabschnitten oder aufeinanderfolgenden Studiengängen,
- vom Studium in den Beruf oder in die Wissenschaft.
Schon bei der Studiengangsgestaltung kann und sollte mitgedacht werden, welche besonderen Anforderungen mit diesen Übergängen zu berücksichtigen sind.
Dass Module (oder Veranstaltungen) in beliebiger Reihenfolge studiert werden können, muss für einen Studiengang zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen sein, ist aber vermutlich nicht gängig. Zu bestimmen ist daher unter anderem, welche Abhängigkeiten es beim Aufbau von Kompetenzen gibt, um für den Ablauf des Studiums entscheiden zu können,
- wann und wo Module (oder Veranstaltungen) in ihrer Abfolge vorgegeben oder frei wählbar sind,
- welche Varianten im Durchlaufen des Studiengangs möglich sein sollen,
- welche Freiräume den Studierenden in der zeitlichen Gestaltung einzuräumen sind.
Wenn Studierende im Laufe ihres Studiums verschiedene Kompetenzziele erreichen sowie mit vielfältigen Prüfungsformen, Lehrformaten und Lehr-Lernräumen konfrontiert sein sollen, ist darauf zu achten, dass das auf allen Wegen, einen Studiengang zu durchlaufen, möglich ist.
Mit der Prozess-Kategorie lässt sich in der Studiengangsentwicklung nicht nur die angesprochene Dynamik im Studium berücksichtigen. Sie eignet sich ebenso dazu, Möglichkeiten einzuplanen, auf das sozial-emotionale Erleben im Studium einzugehen. Es ist aus didaktischer Perspektive in diesem Sinne empfehlenswert, bei der Erst- und Weiterentwicklung eines Studiengangs der Frage nachzugehen, wie sich dabei die soziale Eingebundenheit und akademische Zugehörigkeit fördern lassen. Zu denken ist etwa daran, wo und wie sich in den Studiengang Tutorien oder akademische Mentorate einbinden lassen und was das für die Struktur bedeutet. Spielräume für Interventionen zur Förderung sozialer Interaktionen können insbesondere in der Studieneingangsphase, aber auch an Übergängen zu weiterführenden Studienangeboten oder Berufen eingeplant werden – um nur zwei Beispiele zu nennen.
Info-Tipp aus dem didaktischen Lehrpfad: Weiterführende Informationen zum Thema soziale Interaktion finden Sie hier. |
5. Gestalt
Im Idealfall werden bei der Studiengangsentwicklung neben formalen Vorgaben auch die didaktischen Kategorien Ausrichtung, Curriculum, Struktur und Prozess berücksichtigt. Das bedeutet allerdings nicht, dass diese unabhängig voneinander oder gar linear und einmalig „abgehakt“ werden können. Wie die wenigen in diesem Reflexionspfad zusammengestellten Empfehlungen bereits deutlich machen, bestehen zwischen diesen Kategorien zahlreiche Abhängigkeiten. Die im Reflexionspfad angeordneten Fragen sind daher nicht einmal hintereinander zu beantworten beziehungsweise als Impuls heranzuziehen. Vielmehr wird man sich mit der Erarbeitung von Antworten oder der Auseinandersetzung mit Impulsen in der Entwicklungsspirale mehrfach hin- und herbewegen, spätestens aber am Ende klären müssen: Inwiefern sind Ausrichtung, Curriculum, Struktur und Prozess konsistent aufeinander abgestimmt? Zeigt sich eine sinnhafte Gestalt darin, wie Zielrahmen, inhaltlicher, organisatorischer und zeitlicher Rahmen entworfen worden sind? Wo gibt es noch Widersprüche oder Dysbalancen? Wo lassen sich (weitere) Synergien erkennen, die ausbaufähig sind?
Eine auch didaktisch reflektierte Studiengangsgestaltung erhöht die Chance, dass der Studiengang das erwünschte Profil, man könnte auch sagen: eine eigene Gestalt, ausprägt. Lehrpersonen und Studierende müssen diese Gestalt aber auch erkennen (können): Es gilt daher, nicht nur die zum Beispiel besonders innovativen oder anderweitig hervorstechenden Teile eines Studiengangs im Blick zu haben, sondern diesen als „Ganzes“ zu verstehen, um dessen Potenzial ausschöpfen zu können. Im Idealfall werden daher im Zuge der Studiengangsentwicklung auch eine Strategie und gegebenenfalls Artefakte erarbeitet, um den Studiengang an Lehrpersonen und Studierende zu vermitteln und dessen Gestalt begreifbar zu machen.
Info-Tipp aus dem didaktischen Lehrpfad: Weiterführende Informationen zum Thema Lehre als Akt des Gestaltens und Erarbeitung von (konsistenten) Entwürfen zur Lehre finden Sie hier. |