Lehren und Lernen
Gemeinsam statt einsam: Moderierte und strukturierte Schreibzeiten im Umfeld des HUL
9. Februar 2024, von Carla Bohndick (Beitrag) & Mascha Jacoby (Befragung und Zusammenstellen der Aussagen)

Foto: Stable Diffusion XL, Prompt
Gemeinsame Schreibzeiten sind ein wichtiger Baustein im schreibdidaktischen Angebot. Auch am HUL haben wir uns in den letzten Jahren in verschiedenen Kontexten mit gemeinsamen Schreibzeiten beschäftigt. Für dieses Interview habe ich daher vier Gesprächspartnerinnen ausgesucht, die Erfahrung in der Gestaltung gemeinsamer Schreibzeiten haben und die mir von den Vorteilen und den Voraussetzungen für gemeinsame Schreibzeiten berichten.
Die erste Gesprächspartnerin ist Prof. Dr. Ingrid Scharlau von der Universität Paderborn. Gemeinsam mit ihr und Prof. Dr. Tobias Jenert habe ich im letzten Jahr die letzte von drei internationalen Summer Schools zu Hochschulbildung ausgerichtet (mehr Informationen hier: https://wiwi.uni-paderborn.de/hobid). In diesem Zusammenhang hat sie, unterstützt durch das von ihr geleitete Schreibzentrum in Paderborn und das Schreibzentrum in Hamburg, jeweils Writing Labs ausgerichtet. Die Writing Labs wurden von professionellen Schreibdidaktikerinnen geleitet und waren primär stille Schreibzeiten, die von kurzen Übungen gerahmt waren wie Freewriting, Inkshedding und Übungen zu Stimmen. Auch kurze professionelle Schreibberatungen konnten wahrgenommen werden. Für Frühaufsteher*innen wurde ein freiwilliges Early Bird Writing angeboten, auch um darauf hinzuweisen, dass man die besten Zeiten am Tag fürs Schreiben vorsehen sollte.
Außerdem dabei sind Susannah Parker Ewing und Mascha Jacoby vom Schreibzentrum des HUL. Schon im Jahr 2017 hat das Schreibzentrum ein Format für gemeinsame Schreibzeiten angeboten, das Write-in, bei dem Studierende und Promovierende der UHH moderiert und strukturiert in einem (Online-)Raum an ihren jeweiligen Schreibprojekten arbeiten können. Zeiten zum ruhigen und konzentrierten Schreiben werden ergänzt durch ein Rahmenprogramm mit kurzen Schreibübungen und bewegten Pausen zum Einsteigen und Dranbleiben, Reflektieren und Loslassen. Inzwischen finden mehrmals wöchentlich Weekly Write-ins statt. Aktuell gibt es drei vom Schreibzentrum organisierte Termine die Woche, die jeweils von 10 bis 12 Uhr stattfinden: montags und mittwochs digital per Zoom (https://www.openolat.uni-hamburg.de/auth/RepositoryEntry/89882884/CourseNode/101204733061989), donnerstags in der Stabi (Media Lab, 2. OG). Immer gilt: Keine Anmeldung vonnöten. Interessierte Angehörige der UHH können zur Veranstaltungszeit einfach dem Online-Schreibraum beitreten beziehungsweise in der Stabi vorbeikommen. Das Write-in in der Stabi steht darüber hinaus allen Besuchenden der Bibliothek offen. Zudem arbeitet das Schreibzentrum mit seinen Peer-Schreibberater*innen daran, das Format noch weiter an der UHH zu verbreiten. Seit einem Jahr leitet die vom Schreibzentrum ausgebildete Peer-Schreibberaterin Noelle Nowack bei Piasta auf Englisch ein Write-in an.
Die vierte Person in der Runde ist Dr. Lea Eileen Pöhls. Sie ist Studentin im Master Higher Education (MHE) und hat in ihrem DBR-Projekt, das alle MHE-Studierenden durchführen und für das ich das Wissenschaftscoaching übernommen habe, ein Co-Working für Doktorand*innen entwickelt. Das Co-Working bietet Promovierenden einen (virtuellen) Raum, um in ruhiger Atmosphäre, zu einem festen Zeitpunkt, gemeinsam mit anderen Promovierenden an den individuellen Schreibprojekten zu arbeiten. Hierbei werden die Promovierenden durch die Sprechenden des Promovierenden-Rats mit jeweils einer Schreibübung in das Schreiben eingeführt und wieder herausgeführt. Anschließend und während der Schreibpausen kann der Raum genutzt werden, um sich mit anderen Promovierenden zu vernetzen und auszutauschen. Somit hat das Co-Working das Ziel sowohl den Bedarf des Schreibens als auch den der Vernetzung abzudecken.
Zunächst interessiert mich allgemein warum gemeinsame Schreibzeiten sinnvoll sind. Ingrid, magst du starten, dann Lea und dann vielleicht Mascha?
Ingrid Scharlau: In den meisten Köpfen ist fest verankert, dass Schreiben etwas ist, das man allein an einem Schreibtisch tut, mit großer Konzentration und langem Atem. Dieser einsame Schreibtisch schafft für viele Menschen aber ungünstige motivationale Bedingungen: Man muss Schwierigkeiten alleine lösen und die gerade in diesen Situationen oft sinkende Motivation und Konzentration selbst regulieren. Und er schafft ungünstige kognitive Bedingungen: Man ist mit seinen Vorstellungen vom Schreiben und seinen Strategien allein. Gemeinsame Schreibzeiten wie die Writing Labs bei der HoBid wirken beidem entgegen: Wenn andere in die Tasten hauen, ist es leichter, das auch zu tun. Und wenn man sieht, wie andere am Bleistift kauen oder immer wieder durchstreichen, erkennt man vielleicht leichter, dass vermeintlich unproduktive Phasen zum Schreiben dazugehören und kein Versagen sind. Das sind nur zwei Beispiele von vielen.
Ein weiterer Grund ist für mich, dass viele Doktorand*innen im Hochschulalltag zahlreiche Aufgaben haben und das Schreiben dann auf Randzeiten – abends, Ende der Woche, am Wochenende, in der Weihnachtspause – verschieben. Diese Randzeiten sind ungünstig, und oft wird am Ende viel weniger geschrieben, als man vorhatte. Ich finde es sehr wichtig, dass das Schreiben (und Lesen) einen ganz zentralen Platz erhält und das deutlich in Szene gesetzt wird.
Lea Eileen Pöhls: Gerade in der Phase der Promotion müssen bestimmte Gewohnheiten erstmal etabliert werden. Wissenschaftler:innen strukturieren ihren Arbeitsalltag eigenständig und müssen neben Forschung und Lehre Zeiten zum Schreiben einplanen. Die Organisation dieser verschiedenen Aufgaben, die häufig parallel ablaufen, kann zur Herausforderung werden. Allein kann es schwerfallen, sich regelmäßig zum Schreiben zu motivieren. Gemeinsame Schreibzeiten können solchen Motivationstiefs im Schreibprozess entgegenwirken und so dabei helfen, Promotionsprojekte ohne größere zeitliche Verzögerungen abzuschließen. Das regelmäßige Schreiben in der Gruppe kann zudem der Prokrastination entgegenwirken und mentale Belastungen verringern. Hierbei spielt auch der Austausch mit Peers eine bedeutende Rolle. Es geht also auch um soziale Interaktion, darum mit anderen ins Gespräch zu kommen und sich auszutauschen. Der soziale Kontakt mit anderen, die ähnliche Herausforderungen durchleben, kann die Motivation steigern.
Gemeinsame Schreibzeiten sind dabei nicht nur während der Promotionsphase von Nutzen, sondern können auch für andere Statusgruppen in der akademischen Welt äußerst hilfreich sein. Forschende auf verschiedenen Stufen ihrer Karriere, einschließlich Masterstudierende, Postdoktoranden und etablierte Wissenschaftler, können von dieser kooperativen Praxis profitieren.
Mascha Jacoby: Dem kann ich nur zustimmen. Und ergänzen, dass wir vom Schreibzentrum finden, dass die Teilnahme an Angeboten mit gemeinsamen Schreibzeiten Studierenden aller Studiengänge helfen können, loszuschreiben, weiterzuschreiben und Schreibaufgaben und -projekte abzuschließen. Denn die Punkte, die Ingrid und Lea für Masterstudierende, Promovierende usw. genannt haben, gelten ebenso für viele am Anfang ihres Studiums: Gemeinsam fällt es leichter, sich zum Beispiel für das Schreiben von Hausarbeiten oder Essays zu motivieren und sich mit seinen Schreibfragen und -problemen nicht so allein zu fühlen.
Dabei sollen unsere Write-ins Studierende unterstützen, auch für ihr Schreiben allein beziehungsweise zu Hause oder in der Bibliothek produktivere sowie gesündere und zufriedenstellendere Schreibgewohnheiten und Routinen zu entwickeln. Viele beginnen erst kurz vor der Abgabefrist zu schreiben und versuchen dann in einem Rutsch und über Stunden ohne sinnvolle Pausen Texte fertigzustellen. Wer auf diese Art und Weise schreibt, scheitert häufig an der eigenen Zeitplanung oder beginnt zumindest Stress, Druck und Frustration mit dem Schreiben zu verbinden. Beim Write-in erproben Teilnehmende, wie viel sie in machbaren Schreibzeiten (z.B. 20 bis 45 Minuten) schaffen können. Ablenkungen durch das Handy, andere Menschen usw. werden in dieser Zeit auf ein Minimum reduziert, damit die Teilnehmenden während des Intervalls ihren Fokus wirklich auf ihr Schreibprojekt richten können. Nach beziehungsweise zwischen den Schreibzeiten gibt es Pausen in vorher festgelegten Längen, um die Beine zu vertreten, sich ein Getränk zuzubereiten, aber zum Beispiel auch, um Körper- und Atemübungen zu machen, um Verspannungen zu lösen, geistig abzuschalten und sich etwas Gutes zu tun. Viele stellen fest, dass ihr Schreiben dadurch nicht nur produktiver, sondern auch freudvoller wird. Wer an Angeboten mit sinnvollen Schreib- und Pausenintervallen sowie rahmenden Warmschreib- und Reflexionsübungen teilnimmt, wendet diese und ähnliche Strukturen häufig auch für sein bzw. ihr Schreiben an anderen Orten an. Für das strukturierte Schreiben zu Hause und zu jeder Tageszeit haben wir vom Schreibzentrum deshalb ein Digital Write-in entwickelt, ein Online-Tool, das Schreibende unterstützt, Schreib- und Pausenzeiten auch zu Hause oder allein durchzuziehen.
Bisher ist es noch wenig verbreitet, in Summer Schools für Doktorand*innen, gemeinsame Schreibzeiten anzubieten. Warum war es dir wichtig, das bei der HoBid mit ins Programm zu nehmen?
Ingrid Scharlau: Das hat viele Gründe, ein paar habe ich eben schon benannt. Gerade auf Summer Schools finde ich es wichtig, nicht nur Input zu liefern, sondern auch Zeiten zu haben, in denen dieser verarbeitet wird. Schreibzeiten stiften außerdem Gemeinsamkeit. Und sie können ein Anstoß sein, Banden zu bilden – also (Online)Schreibgruppen zu gründen, die über die Summer School hinaus bestehen und so das Netzwerk stabil halten und die für die meisten Doktorand*innen kräftezehrenden Schreibprozesse unterstützen.
Lea, genau an solchen Banden hast du auch gearbeitet. Hast du Tipps für Doktorand*innen, die sich selber gemeinsame Schreibzeiten organisieren wollen?
Lea Eileen Pöhls: Bei der Organisation von selbstorganisierten gemeinsamen Schreibzeiten ist es wichtig, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, übermäßige Komplexität zu vermeiden und dafür zu sorgen, dass die Struktur einfach und effektiv ist. Zur Durchführung der gemeinsamen Schreibzeiten ist ein ruhiger Ort, an dem konzentriertes Arbeiten möglich ist besonders geeignet. Das kann ein gemeinsamer Arbeitsraum in der Universität oder auch ein virtueller Raum für Online-Meetings sein. Virtuelle Formate sind auch deshalb besonders geeignet, weil ortsunabhängig daran teilgenommen werden kann. Gerade Promovierende sind häufig nicht in der Stadt wohnhaft, in der sie immatrikuliert sind.
Eine Schlüsselkomponente ist zudem die Festlegung von regelmäßigen Terminen. Es ist wichtig, feste Zeiten und Tage zu bestimmen, an denen sich die Gruppe für gemeinsame Schreibzeiten trifft. Diese regelmäßige Struktur schafft nicht nur eine Routine, sondern fördert auch eine nachhaltige Arbeitspraxis. Dabei ist die Nutzung effektiver Kommunikationsmittel wie Gruppenchats, E-Mails oder Online-Plattformen hilfreich, die die Planung und Koordination erleichtert.
Während der gemeinsamen Schreibzeiten kann es hilfreich sein, konkrete Schreibziele, zu bearbeitende Abschnitte oder bestimmte Aufgaben im Voraus festzulegen. Diese klaren Ziele fördern nicht nur die Fokussierung, sondern steigern auch die Produktivität. Zudem ist das Teilen von Ressourcen, wie nützlicher Literatur, Software-Empfehlungen und Erfahrungen mit verschiedenen Schreibtechniken entscheidend. Diese kollektive Wissensbasis stärkt nicht nur die Qualität der Forschung, sondern fördert auch den gegenseitigen Erfahrungsaustausch.
Im Schreibzentrum beratet ihr Lehrende schreibdidaktisch. Wie können Lehrende initiieren, dass Studierende ihr Schreiben produktiver und sozialer gestalten?
Susannah Parker Ewing: Forschende und Lehrende wissen, dass Routinen und Rituale beim Schreiben auf jedem Niveau hilfreich und wichtig sind. Oft handelt es sich dabei aber um implizites methodisches Wissen, das sie nicht mit ihren Studierenden teilen. Daher raten wir Lehrenden unter anderem, sich bewusster zu werden, wie sie selbst ihr Schreiben regelmäßig strukturieren und priorisieren, um dies ihren Studierenden vorzuleben. Schreiben ist ein bedeutender Kern der akademischen Welt und der Umgang damit darf offen und ehrlich besprochen werden.
Zudem entwickeln wir mit und für Lehrende in unseren Lehrkooperationen schreibdidaktische Szenarien für Seminare und Sitzungen. Dabei unterstützen wir, Lehre schreibintensiv zu gestalten, also das Sprechen über den Schreibprozess, Schreibübungen und -aufgaben in das Seminar zu integrieren und Austausch über Schreiberfahrungen und (Peer-)Feedback auf studentische Texte zu ermöglichen. Solche Szenarien enthalten immer Zeit zum Schreiben für die Studierenden, z. B. als Übungszeiten für Schreibaufgaben, die Studierende während des Seminars in Vorbereitung auf die Prüfungsleistung erledigen können. Die Mitarbeitenden des Schreibzentrums können helfen, eine solche Schreibkultur in die Lehrveranstaltungen und in das Universitätsleben einzubringen.
Wie wirkt sich die Teilnahme am Write-in des Schreibzentrums auf das Schreiben Studierender aus? Ergänzend zum Interview mit den Organisatorinnen haben wir Teilnehmende berichten lassen:
„Das Write-in hat mein Schreiben […] 'rhytmisiert'. Ich sitze nicht mehr stundenlang am Schreibtisch und schiebe das Schreiben auf, sondern setze mir eine begrenzte Zeit und fange direkt an, konzentriert zu arbeiten, und mache auch auf Kommando eine Pause.“
„Das Write-in war für mich ein Gamechanger. Wie bei einem Seminar habe ich eine feste, angeleitete Schreibzeit, die ich nicht selbst organisieren muss.“
„Mir helfen die Termine, mich am Anfang zu motivieren, und nach einiger Zeit wieder ein Ende zu finden.“
„Durch das Schreiben in der Gruppe bin ich einfach konzentrierter und lenke mich selbst weniger ab. Die Warmschreib- und Reflexionsübungen konnten mir schon so manches Mal dabei helfen, aus einer anderen Perspektive auf mein Thema und mein Schreiben zu blicken und dabei neue Anstöße zu gewinnen.“
„Viele Tools, Übungen und Abläufe sind durch das wiederholte Praktizieren bekannt. Dennoch ist es (für mich) unverzichtbar diese in der Gruppe zu machen. Allein klappt es nicht annähernd so gut.“
„An unmotivierten Tagen helfen mir die regelmäßigen Termine im Gruppenkontext, überhaupt anzufangen und dann oft doch gut voranzukommen.“
„Mir hat das Write-in geholfen, funktionierende, regelmäßige Schreibroutinen zu entwickeln […] es wird wahrscheinlich einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, meine Abschlussarbeit überhaupt fertigzustellen.“
„Durch das Online Writing Retreat des Schreibzentrums habe ich nach jahrelanger Vorarbeit an der Dissertation erst angefangen, zusammenhängende Texte zu verfassen. Das Weekly Write-in hilft mir, die Zeit wirklich für das Schreiben zu blocken und nicht zu prokrastinieren.“
„Es gibt mir mehr Motivation und Verbindlichkeit, auch mehr Abwechslung durch die wechselnden Warm-up und Reflexionsübungen und die kleinen Achtsamkeitsübungen zwischendurch.“
„Mir hilft zu wissen, dass andere auch Probleme mit dem Schreiben haben und prokrastinieren.“