Lehren und Lernen
Editorial: Schreibdidaktik und Hochschuldidaktik – ein zukunftsfähiges Paar
9. Februar 2024, von Gabi Reinmann und Carla Bohndick
Wissenschaftliches Schreiben ist eine anspruchsvolle Tätigkeit, gilt als Selbstverständlichkeit in jedem Fachstudium und erweist sich gleichzeitig immer wieder als Herausforderung für Studierende, Lehrende und Forschende. Wer wissenschaftlich schreiben will, muss über vielfältiges Wissen verfügen und dieses gekonnt umsetzen. Genannt seien hier nur Fachkenntnisse, Wissen über Textsorten und -konventionen, Erfahrung in der jeweiligen Diskursgemeinschaft und handwerkliche Fähigkeiten, einen Text zu produzieren – mit allen dazu erforderlichen Überarbeitungsschleifen.
Im vergangenen Jahr wurde dem wissenschaftlichen Schreiben viel Aufmerksamkeit zuteil – leider nicht, um die Bedeutsamkeit des Schreibens und Schreiben-Könnens mal bewusst hervorzuheben, sondern weil eine neue Technologie bisherige Gewissheiten und Gewohnheiten im Umgang mit dem wissenschaftlichen Schreiben ins Wanken gebracht hat: generative Künstliche Intelligenz (KI). Mit dem Chatbot ChatGPT ist diese seit Beginn des Jahres 2023 prinzipiell für jede Person verfügbar. Diese Neuerung hat zusätzliche Fragen aufgeworfen: Soll man das wissenschaftliche Schreiben überhaupt noch erlernen, Schreibkompetenz weiter ausbauen oder erhalten, wenn generative KI Schreibaufgaben in einer wachsenden Qualität übernehmen kann? Wie kann wissenschaftliches Schreiben an Universitäten in Zeiten von KI weiterhin gefördert werden und warum ist das sinnvoll?
Schreiben ist ein komplexer kognitiver wie auch emotional-motivationaler Prozess; in diesem Sinne ist Schreiben zunächst ein individueller Akt. Gleichzeitig lässt sich das Schreiben auch als eine soziokulturelle Errungenschaft und Anforderung deuten: Wer das akademische Schreiben in einer Fachwissenschaft erlernt, entwickelt im Zuge dessen eine Identität als Mitglied der Fachgemeinschaft.
Es kann als belegt gelten, dass wissenschaftliches Schreiben erlernbar ist; es muss allerdings gezielt und intensiv geübt werden. Dafür gibt es die Schreibdidaktik, die sich an vielen Universitäten etabliert hat – etwa in Form eigener Einrichtungen. Schreibdidaktische Einrichtungen können für das Thema grundsätzlich sensibilisieren, Anlaufstelle für die individuelle Beratung Studierender sein, spezifische schreibdidaktische Lernangebote machen und Schreibevents ausrichten. Zu einer gelungenen Schreibdidaktik gehört darüber hinaus die hochschuldidaktische Aufgabe, Lehrpersonen dabei zu unterstützen, das Schreiben in Veranstaltungen zu integrieren. Möglich ist das unter anderem, indem man Schreibaufgaben in die Fachlehre einbindet, die darauf abzielen, fachliches Lernen und wissenschaftliches Schreiben zu verknüpfen.
Von der Hochschuldidaktik aus betrachtet, kann man wiederum schreibdidaktische Fragestellungen nicht außer Acht lassen. Die Art des Schreibens und Publizierens ist Teil fachwissenschaftlicher Forschungsprozesse, verknüpft mit Normen und Konventionen, die mit dem Schreiben (im Idealfall) angeeignet werden. In diesem Sinne ist das Schreiben eng verwoben mit dem fachwissenschaftlichen Denken und Handeln.
Die Universität Hamburg verfügt seit vielen Jahren schon über ein eigenes Schreibzentrum. Die dort tätigen Schreibdidaktiker:innen sind nicht nur in der Lage, fachübergreifende Schreibkompetenzen zu fördern; sie können auch auf ein weites Spektrum fachwissenschaftlicher Besonderheiten eingehen und sind in die Fakultäten vernetzt. Seit September 2023 ist das Schreibzentrum Teil des Hamburger Zentrums für Universitäres Lehren und Lernen (HUL). Diese Integration ermöglicht eine enge Zusammenarbeit zwischen Schreib- und Hochschuldidaktik. Das sehen wir als gute Voraussetzung, um wissenschaftliches Schreiben als individuelles und soziales Handeln zu unterstützen sowie verschiedene Ansatzpunkte bei Studierenden und Lehrpersonen zu verfolgen und miteinander zu verzahnen.
Auch mit Blick auf generative KI und die damit verbundenen Herausforderungen für das wissenschaftliche Schreiben ist das eine Chance: Gemeinsam hoffen wir, die Zukunft der akademischen Schreibkultur mitgestalten und dazu beitragen zu können, einen verantwortungsvollen Umgang mit generativer KI beim wissenschaftlichen Schreiben zu erproben und zu fördern.
Gabi Reinmann & Carla Bohndick
Weiterführende Literatur:
Limburg et al. (2023). Zehn Thesen zur Zukunft des Schreibens in der Wissenschaft. URL: https://hochschulforumdigitalisierung.de/sites/default/files/dateien/HFD_DP_23_Zukunft_Schreiben_Wissenschaft.pdf
Scharlau, I., Karsten, A., Haacke, S. & Lahm, S. (2021). Schreiben als Schlüsselkompetenz? In: R. Kordts-Freudinger, N. Schaper, A. Scholkmann & B. Szczyrba (Hrsg.), Handbuch Hochschuldidaktik (S. 129-138). Bielefeld: wbv.