Einschätzung didaktischer Eignung: Webversion
Einführung und Überblick
1. Ausgangslage
Werden an Universitäten Stellen besetzt, in denen Lehre zum Aufgabengebiet gehört, ist meist auch die Eignung einer Person für diese Aufgabe festzustellen. Bezeichnet wird dies in der Regel als pädagogische oder didaktische Eignung. Regelhaft, aber nicht ausschließlich, spielt das in Berufungsverfahren auf Professuren eine zentrale Rolle. Inzwischen sind hierzu verschiedene Instrumente im Einsatz: Probevorlesung oder Probeseminar, probeweise Gestaltung von Lehrsituationen, Lehrveranstaltungsevaluationen, Fortbildungsnachweise, Lehrauffassung oder -philosophie, Lehrkonzept, Lehrplanung, Liste durchgeführter Lehrveranstaltungen oder Lehrbiografie, Praxisbeispiele aus der Lehre, Lehrprojekte oder Lehrforschungsprojekte, Lehrpreise, Lehrportfolio. Welche dieser Instrumente in gegebenenfalls welcher Kombination ausgewählt werden, ist höchst variabel und unterscheidet sich in Deutschland nicht nur von Bundesland zu Bundesland, sondern auch von Universität zu Universität. Die genannten Bezeichnungen werden zudem nicht überall deckungsgleich verwendet, sind bisweilen organisationsspezifisch definiert oder bleiben in ihrer Bedeutung offen (Gieselmann & Becker, 2018; Meiertöns, 2024). Relativ einhellig aber wird in der Literatur betont, dass es unzureichend ist, sich auf eines der genannten Instrumente zu verlassen, um festzustellen, wie gut sich eine Person für die Lehre eignet (Heuchemer & Szczyrba, 2016; Krüper, 2024).
Vor diesem Hintergrund erscheint es folgerichtig, dass aus hochschuldidaktischer Sicht schon seit längerem komplexere Verfahren vorgeschlagen werden, die mehrstufige Prozesse (z.B. Ahn &, Höfer & Kunz, 2011) und/oder eine Bündelung verschiedener Leistungen und Artefakte zu Portfolios vorsehen (z.B. Trautwein & Merkt, 2013). Allerdings haben sich solche Vorschläge bislang nicht durchsetzen können; allenfalls der Portfolio-Begriff hat sich verbreitet, ohne aber einheitlich verstanden und verwendet zu werden. Für diesen Umstand kann es verschiedene Gründe geben: Die hochschuldidaktischen Vorschläge werden nicht von allen (in gleicher Weise) verstanden, sind in verschiedenen Disziplinen nicht gleich gut nachvollziehbar, erweisen sich zu wenig anschlussfähig an verschiedene Wissenschafts- und Lehrkulturen an Universitäten und/oder erfordern einen zu hohen Aufwand, um im Auswahlprozess praktikabel zu sein.
Drei Perspektiven auf didaktische Eignung
Das vom Hamburger Zentrum für Universitäres Lehren und Lernen (HUL) zusammengestellte Material zu diesem Thema greift diesen Umstand auf und versteht sich zunächst einmal als Ordnungsversuch derzeit gängiger Instrumente in drei Kategorien, um die Eignung einer Person für universitäre Lehre (didaktische Eignung) festzustellen. Grundsätzlich lässt sich nämlich aus drei Perspektiven auf die didaktische Eignung einer Person blicken: Man stützt sich darauf, (1) was und wie eine Person in der Vergangenheit gelehrt hat (Rückblick auf Lehre), (2) wie sie in der unmittelbar beobachtbaren Gegenwart lehrbezogene Anforderungen meistert (Aktueller Blick auf Lehre) und/oder (3) was oder wie sie in der Zukunft lehren will (Vorausblick auf Lehre). Die meisten gängigen Instrumente lassen sich einer dieser Kategorien zuordnen; Portfolios verknüpfen in der Regel Instrumente aus den Kategorien (1) und (3). Die drei Perspektiven sind miteinander verflochten und keineswegs unabhängig voneinander, bringen aber verschiedene Facetten von Lehrkompetenz zum Vorschein. Ein kurzer Überblick kann dabei helfen, sich einen ersten Gesamteindruck von der Vielfalt möglicher Instrumente und ihrer Unterschiede zu machen, bevor man einzelne davon auswählt und gegebenenfalls kombiniert.
Rückblick auf Lehre. Ein Großteil der gängigen Instrumente zieht bisherige Lehrerfahrungen und -ergebnisse heran, um sich ein Bild über die Eignung einer Person für universitäre Lehre zu machen. Dazu zählen etwa Listen durchgeführter Lehrveranstaltungen, Lehrveranstaltungsevaluationen, Lehrpreise, Fortbildungsnachweise, Praxisbeispiele aus der eigenen Lehre oder durchgeführte (forschend begleitete) Lehrprojekte. Instrumente, die Lehre im Rückblick betrachten, liefern einen konkreten Einblick in die bisherige Lehrtätigkeit einer Person, zeigen, je nach Auswahl und/oder Kombination der Instrumente, wie engagiert eine Person in der Lehre bisher war, was sie erreicht hat und wie umfangreich und/oder vielfältig ihre Erfahrungen sind. Bei Einsatz solcher Instrumente schließt man aus der Vergangenheit auf die didaktische Eignung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Lebensalter und Biografie einer Person den Umfang und das Repertoire von Lehrerfahrungen und -ergebnissen beeinflussen.
Aktueller Blick auf Lehre. Ein nicht unerheblicher Teil gängiger Instrumente greift auf unmittelbar erlebbare Lehrperformanz und -wirkung zurück, um die Eignung einer Person für universitäre Lehre einzuschätzen. Dazu zählen etwa die Probevorlesung und das Probeseminar (was im Prinzip auch digital möglich ist) oder die probeweise Bewältigung von Lehrveranstaltungssituationen. Instrumente, die einen Aktuellen Blick auf Lehre werfen, zeigen direkt, wie eine Person Lehre umsetzt, und machen, je nach Auswahl und Ausgestaltung der Instrumente, beobachtbar, wie eine Person Inhalte erklärt, mit Studierenden interagiert, auf herausfordernde Lehrsituationen reagiert. Bei Einsatz solcher Instrumente schließt man von der gegenwärtigen Leistung auf die didaktische Eignung einer Person. Zu bedenken ist, dass die Lehrtätigkeit, die im Bewerbungsprozess unmittelbar demonstriert werden kann, einen sehr kurzen Ausschnitt repräsentiert und vorrangig erkennbar macht, wie eine Person situativ agiert und reagiert.
Vorausblick auf Lehre. Ein kleinerer, inzwischen aber etablierter Teil der gängigen Instrumente setzt auf Lehrideen und -entwürfe, um eine Vorstellung über die Eignung einer Person für universitäre Lehre zu entwickeln. Dazu gehören vor allem Ausarbeitungen zur eigenen Lehrauffassung oder -philosophie, Lehrkonzepte und Lehrplanungen. Instrumente, die einen Vorausblick auf Lehre werfen, erleichtern die Einschätzung dazu, wie die künftige Lehrtätigkeit einer Person aussehen könnte. Entsprechend der Auswahl und/oder Kombination der Instrumente wird deutlich, mit welchen Zielen, Überzeugungen und Ideen eine Person in die Lehre geht und wie sie ihr Lehrangebot konkret gestalten will. Bei Einsatz solcher Instrumente leitet man aus Zukunftsentwürfen die didaktische Eignung einer Person ab. Zu beachten ist, dass es keine Gewissheit darüber gibt, ob und wie die Person ihre Zukunftsentwürfe in der Lehre tatsächlich umsetzen wird oder infolge der bestehenden Bedingungen realisieren kann.
Hinweise zur Zusammenstellung der Instrumente
Wir verwenden die drei Perspektiven – Rückblick auf Lehre, Aktueller Blick auf Lehre, Vorausblick auf Lehre – als Struktur für die Kategorisierung von insgesamt neun Instrumenten. Diese bilden ein Repertoire, aus dem sich Auswahlkommissionen ihr eigenes Instrumentarium zusammenstellen können. Die von uns ausgewählten Instrumente sind weder erschöpfend noch abschließend; sie verstehen sich als Beispiele, eröffnen aber dennoch einen vielfältigen Gestaltungsraum. Wo es allgemein verständlich scheint, behalten wir gängige Bezeichnungen bei. Bei Bedarf bündeln wir Instrumente, die sich ähnlich sind, und ergänzen Inhalte da, wo sie didaktisch naheliegen, und setzen bei all dem auf möglichst für sich selbst sprechende Bezeichnungen. Aufgrund der unterschiedlichen Auslegung verwenden wir den Portfolio-Begriff nicht; er eignet sich aber als Bezeichnung für individuell zusammengestellte Instrumente, wenn diese aus mehreren Kategorien stammen. Wir gehen davon aus, dass es Sinn ergibt, auch bei begrenzt möglichem Aufwand, mehrere Instrumente zu kombinieren und dabei mindestens zwei verschiedene Perspektiven einzunehmen.
Die Instrumente sind in zwei Stufen beschrieben: (1) Zu jeder Perspektive stellen wir drei gängige Instrumente im Überblick vor, formulieren für diese Arbeitsdefinitionen und skizzieren Potenziale und Grenzen. Die Arbeitsdefinitionen dienen der Abgrenzung und Verständigung. Hinweise zu Potenzialen sind dazu gedacht, die Instrumente leichter mit den eigenen Zielen abzugleichen. Eine kurze Erörterung von Grenzen soll dabei helfen, reflektierte Entscheidungen zu treffen. (2) Zu jedem der insgesamt neun Instrumente gibt es zusätzlich unterschiedlich lange Detail-Informationen mit Vorschlägen zur konkreten Umsetzung und Variation.
Ziel und Angebot des HUL
Jedes beschriebene Instrument kann seine Berechtigung haben. Wie passend es ist, hängt davon ab, was eine Auswahlkommission für wichtig erachtet, was wiederum von Fakultät zu Fakultät oder von Fach zu Fach unterschiedlich sein kann, in jedem Fall aber gut begründet sein sollte. Unser Ziel ist es, Auswahlkommissionen bei ihren Entscheidungen zu unterstützen. Zu diesem Zweck enthält das Material neben Überblicksinformationen Vorschläge zur Ausgestaltung der einzelnen Instrumente, Hinweise auf mögliche Varianten und Beurteilungskriterien.
Das Material versteht sich als Instrumentarium in Auswahlprozessen, mit dem die didaktische Eignung einer Person eingeschätzt werden kann. Weitere, gegebenenfalls universitätsspezifische, Ansprüche an Lehre, die nicht direkt Teil der Lehrkompetenz sind (Reinmann, in Druck), beispielsweise besonderes Engagement für Nachhaltigkeit oder Internationalität, werden hier nicht berücksichtigt, können aber bei Bedarf individuell ergänzt werden.
Das Material zur Einschätzung didaktischer Eignung in Auswahlprozessen steht online allen interessierten Personen zur Verfügung. Fakultäten und Fachbereichen der Universität Hamburg bietet das HUL auf Anfrage Beratung und Workshops dazu an, wie sie das Instrumentarium nutzen und spezifisch ausgestalten können, um die Eignung von Personen für universitäre Lehre in Auswahlprozessen im Rahmen einer Bewerbung einzuschätzen.
Zitierte und weiterführende Literatur
- Ahn, H., Höfer, Y. & Kunz, L. (2011). Die Ermittlung von Lehrkompetenzprofilen zur Unterstützung von Berufungsverfahren. Zeitschrift für Hochschulentwicklung, 6(3), 135–152.
- Gieselmann, J. & Becker, F.G. (2018). Analyse von universitären Berufungsordnungen: Eine empirische Studie. Forschungspapier 7. Universität Bielefeld. URL: https://pub.uni-bielefeld.de/record/2936751
- Heuchemer, S. & Szczyrba, B. (2016). Lehrkompetenz und „pädagogische Eignung“ im Verhältnis Stellenwert und Handhabung guter Lehre an einer lernenden Hochschule. In R. Egger & M. Merkt (Hrsg.), Teaching Skills Assessments (S. 219–237). Wiesbaden: Springer.
- Krüper, J. (2024). Lehrkonzepte als Professionalisierungsinstrument in (rechtswissenschaftlichen) Berufungsverfahren. Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaft, 11(1), 40–58.
- Meiertöns, H. (2014). Lehrleistungen im Berufungsverfahren. Hochschulrechtliche Anforderungen an didaktische Qualifikation. Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaft, 11(1), 23–39.
- Reinmann, G. (in Druck). So soll Lehre sein? Theoretische Reflexion zu Ansprüchen an Hochschullehre. [Angabe folgt.]
- Trautwein, C. & Merkt, M. (2013). Lehrportfolios in Berufungsverfahren. Neues Handbuch Hochschullehre. J. 1.13
Instrumente
Rückblick auf Lehre
Instrumente auf Basis von Lehrerfahrungen und -ergebnissen
Die Kategorie Rückblick auf Lehre umfasst Instrumente, die bisherige Lehrerfahrungen und -ergebnisse heranziehen, um sich ein Bild über die Eignung einer Person für universitäre Lehre zu machen. Dazu zählen etwa Listen durchgeführter Lehrveranstaltungen, Lehrveranstaltungsevaluationen, Lehrpreise, Fortbildungsnachweise, Praxisbeispiele aus der eigenen Lehre oder durchgeführte (forschend begleitete) Lehrprojekte. Instrumente, die Lehre im Rückblick betrachten, liefern einen konkreten Einblick in die bisherige Lehrtätigkeit einer Person, zeigen, je nach Auswahl und/oder Kombination der Instrumente, wie engagiert eine Person in der Lehre bisher war, was sie erreicht hat und wie umfangreich und/oder vielfältig ihre Erfahrungen sind. Bei Einsatz solcher Instrumente schließt man aus der Vergangenheit auf die didaktische Eignung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Lebensalter und Biografie einer Person den Umfang und das Repertoire von Lehrerfahrungen und -ergebnissen beeinflussen.
Aktueller Blick auf Lehre
Instrumente auf Basis von Lehrperformanz und -wirkung
Die Kategorie Aktueller Blick auf Lehre umfasst Instrumente, die auf unmittelbar erlebbare Lehrperformanz und -wirkung zurückgreifen, um die Eignung einer Person für universitäre Lehre einzuschätzen. Dazu zählen etwa die Probevorlesung und das Probeseminar (was im Prinzip auch digital möglich ist) oder die probeweise Bewältigung von Lehrveranstaltungssituationen. Instrumente, die Lehre im Augenblick betrachten, zeigen direkt, wie eine Person Lehre umsetzt, und machen, je nach Auswahl und Ausgestaltung der Instrumente, beobachtbar, wie eine Person Inhalte erklärt, mit Studierenden interagiert, auf herausfordernde Lehrsituationen reagiert. Bei Einsatz solcher Instrumente schließt man von der gegenwärtigen Leistung auf die didaktische Eignung einer Person. Zu bedenken ist, dass die Lehrtätigkeit, die im Bewerbungsprozess unmittelbar demonstriert werden kann, einen sehr kurzen Ausschnitt repräsentiert und vorrangig erkennbar macht, wie eine Person situativ agiert und reagiert.
Vorausblick auf Lehre
Instrumente auf Basis von Lehrideen und -entwürfen
Die Kategorie Vorausblick auf Lehre umfasst Instrumente, die auf Lehrideen und -entwürfe setzen, um eine Vorstellung über die Eignung einer Person für universitäre Lehre zu entwickeln. Dazu gehören vor allem Ausarbeitungen zur eigenen Lehrauffassung oder -philosophie, Lehrkonzepte und Lehrplanungen. Instrumente, die einen Vorausblick auf Lehre werfen, erleichtern die Einschätzung dazu, wie die künftige Lehrtätigkeit einer Person aussehen könnte. Entsprechend der Auswahl und/oder Kombination der Instrumente wird deutlich, mit welchen Zielen, Überzeugungen und Ideen eine Person in die Lehre geht und wie sie ihr Lehrangebot konkret gestalten will. Bei Einsatz solcher Instrumente leitet man aus Zukunftsentwürfen die didaktische Eignung einer Person ab. Zu beachten ist, dass es keine Gewissheit darüber gibt, ob und wie die Person ihre Zukunftsentwürfe in der Lehre tatsächlich umsetzen wird oder infolge der bestehenden Bedingungen realisieren kann.