Lehren und Lernen
Zwischen Freiheit und Zwang: Didaktische Impulse für die Studiengangsentwicklung
12. Februar 2025

Foto: Pixabay/Daniel Kirsch
In der Erst- oder Weiterentwicklung von Studiengängen werden didaktische Entscheidungen auf der Modul- und Veranstaltungsebene im besten Fall gleich mit bedacht. Und wie geht das? Eine Antwort gibt der neue Reflexionspfad Studiengangsentwicklung im Selbstlernmaterial des HUL. Dieser ergänzt das Angebot des Qualitätsmanagements der Universität Hamburg um didaktische Impulse, die Fakultäten in ihren studiengangsbezogenen Aktivitäten unterstützen können.
Menschen sind ambivalent und widersprüchlich: „Der Mensch schwankt zwischen Emotionalität und Rationalität: er möchte förmlich-gefestigt und doch spielerisch-offen denken können […]: er möchte intrinsisch motiviert sein und doch extrinsisch einen Nutzen des Handelns erfahren; er schwankt zwischen zuversichtlicher Hoffnung auf Erfolg und Angst vor Misserfolg; er möchte seine Grenzen überwinden und doch in seinen Grenzen anerkannt und wertgeschätzt werden“ (Schlömerkemper, 2017, S. 31).
Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten kennzeichnen auch das Lehrhandeln; in der Didaktik bezeichnet man diese als Antinomien. Die wohl stärkste Antinomie in der Hochschulbildung ist die zwischen Freiheit und Zwang; sie zeigt sich in verschiedenen Nuancen: In der Lehre geben wir mal strenge Vorgaben, mal gewähren wir große Freiräume. Mal unterstützen wir studentische Aktivitäten, mal muten wir Studierenden punktuelle Orientierungslosigkeit zu. Wir sehen im individuell-verstehenden Lernen ebenso einen Sinn wie im sozial-aushandelnden Lernen. Wir messen disziplinären Lernzielen ebenso wie interdisziplinären Zielen einen eigenen Wert bei. Diese nur exemplarisch genannten Optionen sind in der Regel keine Antagonisten, die sich unversöhnlich gegenüberstünden, auch keine Paradoxien, die einen unauflösbaren Widerspruch bilden würden. Vielmehr sind es didaktische Antinomien, die, obschon sie gleich wichtig sind, nicht gleichzeitig in gleicher Gewichtung realisiert werden können. Und so überfordert es eine einzelne Lehrveranstaltung meistens, zugleich mehrere, für sich jeweils legitime, aber antinomische Ziele zu erreichen.
Es hilft hier weiter, eine Handlungsebene höher zu steigen – zum Studiengang: Im Idealfall treffen Studierende im Verlauf eines Studiums auf Lehrangebote, die für sich betrachtet zwar Akzente setzen, also auch die eine oder andere Antinomie nach einer Seite hin auflösen, haben aber über die Zeit hinweg die Möglichkeit, z.B. sowohl Wissen zu rezipieren oder einzuüben als auch forschend zu lernen und selbst Wissen zu schaffen usw. Bei der Konzeption von Studiengängen ist die Vielfalt didaktischer Formate mitzudenken – entweder in der Form, dass diese fest eingeplant sind, oder so, dass Lehrpersonen ausreichend Freiraum haben, didaktische Vielfalt bei ihren Entscheidungen auf der Veranstaltungsebene praktizieren zu können.
Um Fakultäten zu unterstützen, bei der Studiengangsentwicklung didaktische Erfordernisse gleich mitzudenken, haben wir am HUL einen Reflexionspfad erarbeitet, der die Vorgaben und Empfehlungen des Qualitätsmanagements der Universität Hamburg ergänzen will. Auf diesem Pfad werden gedanklich fünf Stationen im Sinne didaktischer Kategorien der Studiengangsentwicklung durchlaufen – bei Bedarf auch mehrfach (im Sinne einer Entwicklungsspirale): Ausrichtung, Curriculum, Struktur, Prozess und Gestalt. Diese Kategorien werden im Reflexionspfad kurz beschrieben. An einigen Stellen kreuzen sich die Wege auf diesem Pfad durch die Studiengangsentwicklung mit denen auf dem didaktischen Lehrpfad durch die Gestaltung von Lehre – gekennzeichnet durch die farbigen Fähnchen.
Literatur:
Schlömerkemper, J. (2017). Pädagogische Prozesse in antinomischer Deutung. Begriffliche Klärungen und Entwürfe für Lernen und Lehren. Weinheim: Beltz.
Von Gabi Reinmann