Lehren und Lernen
Der Campus der Zukunft: Eine Utopie
14. Februar 2023, von Angela Sommer und Nadia Blüthmann

Foto: freepik/cookie_studio
Stellen Sie sich vor, Sie betreten den Campus Ihrer Hochschule, der gerade mit dem Preis für den besten Lernort des Landes ausgezeichnet wurde. Was sehen Sie?
Zunächst fällt Ihnen auf, dass alle Gebäude um eine großzügige Freifläche angeordnet sind. Bequeme, frei bewegliche Holzstühle laden zum Verweilen ein, Studierende haben einige davon zusammengestellt und scheinen in eine Gruppenarbeit vertieft. Gelegentlich fällt ihr Blick auf den mit Grünpflanzen umwachsenen Teich, auf dem sich einige Enten niedergelassen haben. Sie lassen Ihren Blick weiter über den Campus schweifen und sehen die Glasfassade der Bibliothek, hinter der Sie Bücherregale und Stillarbeitsräume erkennen können. Neben der großen Mensa entdecken Sie mehrere kleinere Cafés, in denen Studierende und Lehrende beieinandersitzen und arbeiten, während andere in einer stillen Nische lesen.
Nun betreten Sie ein Gebäude, dessen Foyer Sie mit Grünpflanzen, ansprechend gestalteten Informationstafeln und einer großen Freifläche in der Mitte begrüßt. Dieses erinnert Sie an ein Atrium, und schon entsteht vor Ihrem inneren Auge das Bild einer Tagung oder Projektpräsentation, bei der das Publikum von allen Plätzen aus einen guten Blick hat. An den Außenwänden entdecken Sie durch Trennwände voneinander abgeteilte kleine Tische mit 6-8 Stühlen, die über kleine elektronische Präsentationsflächen verfügen. An einigen wird gerade gearbeitet, alle haben ihre Laptops an die reichlich vorhandenen Steckdosen angeschlossen und betrachten eine digitale Präsentation, über die intensiv diskutiert wird.
Ihr Weg führt Sie in den Vorlesungssaal, in dem sich wenig verändert zu haben scheint. Die ansteigende – wenn auch terrassenförmigere – Bestuhlung ist geblieben, ebenso die Vortragsfläche mit dem Vorlese-Pult, der Projektionsfläche und ausreichend Ablagefläche für Ihre Materialien und Dinge, die Sie zeigen möchten. Obwohl – eines scheint doch irgendwie anders: Die Tische klappern nicht mehr so laut wie früher, sie sind zum Arbeiten mit Laptops großzügiger bemessen und die Akustik scheint Nebengeräusche zugunsten der Präsentierenden zu schlucken. Was Sie auf den ersten Blick nicht sehen: Die Bestuhlung lässt sich per Knopfdruck im Boden versenken und die Rückwände des Saals lassen sich zum Atrium hin öffnen – ganz neue Möglichkeiten für Tagungen und Konferenzen kommen Ihnen in den Sinn.
Und erst die Seminarräume – wie haben sie sich verändert. Überall bequeme Stühle (mit Armlehnen!) und Tische auf Rollen. Sofort denken Sie an zwei Ihrer Lehrveranstaltungen, die jeweils unterschiedliche Studierendenzahlen und didaktische Designs haben. Vor Ihrem inneren Auge beginnen Sie, die Räume für die jeweiligen Seminare umzustellen bzw. die Studierenden zu bitten, dies zu tun. In Windeseile wird aus der Plenums- eine Kleingruppenanordnung. Pinnwände werden zur Abtrennung der Arbeitsgruppen verwendet und mit Flipchartbögen bespannt, auf die Arbeitsergebnisse notiert und für die spätere Plenumspräsentation vorbereitet werden. Und nun entdecken Sie auch die farblich ansprechend gestalteten Wände, an denen aktuelle Poster von zurückliegenden Fachkonferenzen und studentischen Präsentationen hängen. Fast wäre Ihnen gar nicht die hybride Raumtechnik aufgefallen, die sich mit mehreren Bildschirmen, Mikrofonen und einer 360-Grad-Kamera wie selbstverständlich in den Raum einfügt.
Auf der Etage entdecken Sie mehrere kleine Räume, durch deren Glaswände Sie sehen können, dass einige von Arbeitsteams genutzt werden und andere noch frei sind. Eine elektronische Anzeigetafel gibt Ihnen Auskunft darüber, wann die Räume belegt sind bzw. noch gebucht werden können. Ein weiterer großer Bereich erweckt Ihre Aufmerksamkeit: Hier stehen Sofas, bequeme Sessel und kleine Tischchen – Sie haben einen der Still-Leseräume gefunden, der zum Studieren, Lesen und Nachdenken einlädt.
Während Sie das Gebäude wieder verlassen und auf den Campus zurückkehren, erinnern Sie sich daran, dass Ihre Hochschule gerade ein New-Work-Konzept erarbeitet, in dem es unter anderem auch um die Frage geht, wie die Arbeitsplätze für die in Verwaltung und Wissenschaft Tätigen künftig gestaltet sein sollten. Besonders wertvoll erschien Ihnen in diesem Kontext die Idee, verschiedene Workspaces zu schaffen, in denen man entweder alleine und ungestört arbeiten kann oder in die man sich setzt, um mit anderen zusammenzuarbeiten, den Austausch zu suchen, ansprechbar zu sein.
„Lernen kann man auch in trostlosem Beton“, so sagte Prof. Dr. Christian Kohls in seinem HUL-Vortrag über die Gestaltung hybrider Lernräume. Aber wie viel schöner und lernförderlicher wäre es doch, wenn Campus und Räume offen gestaltet, mit beweglichem Mobiliar ausgestattet und von allen aktiv als das angenommen und gestaltet würden, was sie sind: Orte zum Lernen, Arbeiten und Austausch für alle Angehörigen der Universität.